Gesang
Seit 1998 arbeitet Stephan Stiens mit dem Bariton Wolf
Matthias Friedrich zusammen. Mit ihm
gemeinsam hat Stephan Stiens im Juni 2013 den von Stephan
Stiens komponierten Liederzyklus JETZT für Bariton und
Gitarre uraufgeführt. (Link
zur Kritik in der nmz im Oktober 2013: 1,3 MB)
Den Liederzyklus DIE STIMMEN nach Gedichten von Rilke,
komponiert vom südafrikanischen Komponisten Hans Huyssen,
brachten Stephan Stiens und Wolf Matthias Friedrich 1997 im Münchner Gasteig
zur Uraufführung. 1999 folgten Konzerte mit dem Liederzyklus DIE SCHÖNE MÜLLERIN von Franz
Schubert mit der von Stephan Stiens transkribierten
Gitarrenbegleitung (♫
2:44: 5. Am Feierabend).
Das Jahr 2001 führte den Tenor Kobie
van Rensburg und Stephan Stiens zusammen. Das Lautenlied
der Elisabethanischen Epoche, sowie Volkslied-Arrangements für
Gitarre und Tenor von Britten, Brahms, Seiber u.a. bilden den
Schwerpunkt ihres Repertoires.
JETZT - Liederzyklus für Bariton und
Gitarre (S. Stiens)
Die Gitarre ist das populärste Liedbegleitungsinstrument, aber
nahezu nie verlässt sie den Bereich des einfachen Begleitens.
Mit seinem Liederzyklus JETZT für Bariton und Gitarre hat
Stephan Stiens hat etwas völlig Neues geschaffen.
In seiner Vertonung von 20 Gedichten junger deutscher
LyrikerInnen unter dem Titel JETZT wird die Gitarre zum
gleichberechtigten Dialogpartner des Gesangs. Die Musik - mit
ihrem modernen Facettenreichtum - greift die Stimmen,
Stimmungen, die Wahrnehmung und das Lebensgefühl der nach 1970
geborenen Dichtergeneration auf und verbindet sie zu einem
faszinierenden Kaleidoskop.
Uraufführung des Liederzyklus JETZT von Stephan Stiens nach
Gedichten junger deutscher Lyrikerinnen und Lyriker am 30.
Juni 2013 in München(sechs ausgewählte Lieder):
Link zu YouTube
- Ich bin die Angesammelte - Nora Gomringer (0:07)
- später sommer - Kerstin Preiwuss (4:18)
- toter mann - Nadja Küchenmeister (9:10)
- im fernsehn - Tom Bresemann (12:55)
- europa: notausgang - Miriam Keil (14:08)
- september - Ruth Wiebusch (19:05)
Link
zur Kritik in der nmz im Oktober 2013, 1,3 MB
Lieder
- landschaft (Herbert Hindringer)
- Ich bin die Angesammelte (Nora Gommringer)
- Meine Liebe zu dir (Jürg Halter)
- im fernsehn (Tom Bresemann)
- "über den Prozess der Zivilisation" (Stefan Schmitzer)
- Natur (Stephan Turowski)
- Wiederstedter Elegien 13 (Ralf Meyer)
- toter mann (Nadja Küchenmeister)
- Holy cow heart (Mara Genschel)
- für Gisèle (Christophe Fricker)
- in die weide (Nathalie Schmid)
- September (Ruth Wiebusch)
- Hallo (Benjamin Maak)
- am ersten tag (Sonja Harter)
- anzeige (Luise Boege)
- heute ist die Zeit nur ein Geräusch (Marlen Pelny)
- europa: notausgang (Miriam Keil)
- später sommer (Kerstin Preiwuss)
- Kurze Tage (Christian Teissl)
- Das ist das letzte Gedicht (Sandra Trojan)
Die schöne Müllerin (F.
Schubert)
von Stephan Stiens
Die Liednovelle "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert, wurde
neben der "Winterreise" explizit als Liederzyklus konzipiert.
Übrigens waren bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein Aufführungen
eines gesamten Liederzyklus selten, stattdessen wurden einzelne
Lieder oder auch Gruppen von Liedern als Teil eines Liederabends
vorgetragen. Hierin kommt etwas zum Ausdruck, was die Rezeption
der Schubertschen Werke bis in die zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts hinein prägte; das fast schon konsequente
Missverstehen seiner kompositorischen Intentionen und seines
Genies. Dies ging allerdings einher mit einer stetig wachsenden
Beliebtheit, ja Popularität seiner Werke, insbesondere seiner
Lieder; galt und gilt er doch - trotz der Beatles - als „Der
Liederkomponist“ schlechthin. Dies war die Position, die man ihm
neben dem scheinbar so übermächtigen L.v.Beethoven zugestand.
Erst viel später setzte sich die Erkenntnis durch, welches
Jahrhundertgenie in diesem "etwas linkisch wirkenden, bebrillten
Dickkopf" steckte.
Die lyrische Vorlage zu "Die schöne Müllerin" stammt von dem
Dichter Wilhelm Müller. Sie erschien 1821 in Dessau in einem
Gedichtbändchen mit dem Titel: „Gedichte aus den hinterlassenen
Papieren eines Reisenden Waldhornisten“ herausgegeben von
Wilhelm Müller. Das Bändchen wird mit dem „Müllerin“ Zyklus
eröffnet, die Figuren der schönen Müllerin und des Müllers als
verschmähten Liebhaber waren keine Erfindung des Dichters
Wilhelm Müller, sondern lagen gleichsam als Versatzstücke in der
literarischen Luft.
Eichendorff, Brentano, Rückert und sogar Goethe haben die
"Schöne Müllerin" in Versen besungen. Elmar Budde schreibt
hierzu: „Im frühen 19. Jahrhundert galt die Vorliebe für diesen
Stoff wohl über Müllerin – Bach und Mühlenidylle hinaus, der
Figur des Müllerburschen, in der sich Naturnähe und
Ungebundenheit beispielhaft verbinden. Nicht Sesshaftigkeit ist
ihm eigen, er schaut dem Bache nach, denn ihn drängt es in die
Ferne, der Bach ist sein Gefährte und Wanderkamerad. So kann es
nicht verwundern, dass des Müllerburschen Versuch, sesshaft zu
werden, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Absage
der Müllerin, die ja des Müllers Tochter, also die Tochter eines
vermögenden Vaters ist, bedeutet mehr als ein „ich liebe dich
nicht“, es ist die Absage an einen Menschen, dessen
Ungebundenheit sich nicht den alltäglichen Normen fügt. Der
konkurrierende Jäger stellt gegenüber dem Müllerburscher jene
Person dar, deren gesellschaftliche Reputation nicht in Zweifel
gezogen werden kann; dass die Müllerin sich ihm zuwendet, ist
also durchaus einzusehen. Dennoch ist es der Müllerbursche, der
die Zuneigung der Zeitgenossen findet; denn er ist es, der jene
Ungebundenheit beispielhaft vorlebt, die dem Bürger verwehrt
ist. Der Traum vom Müllerburschen ist darum zugleich auch der
Traum von einem anderen, ungebundenen Leben.“
Man vermeint in der Beschreibung des literarischen Stoffes eine
Art Psychogramm des Franz Schubert herauszuhören, dessen Leben
in äußerster Anspannung zwischen innerer Ungebundenheit, innerem
Anderssein und äußerem Unverstandensein verlief, nur dem
Schaffensdrang gehorchend, bis zur äußersten existenziellen
Konsequenz.
Staunen lässt einen, wie Schubert sich die Texte angeeignet hat.
Keinesfalls schreibt er nur eine einfache Vertonung – nein – mit
der unendlichen Vielfalt ihrer Klangbildungen, Modulationen,
Figuren, Charaktere usw. reagiert seine Musik auf die Sprache.
Das „Wandern“ ist für ihn eine Metapher der menschlichen
Existenz. Gleich im ersten Lied sprechen Gedicht und Musik vom
Wandern als dem Lebensprinzip des Müllers. Der Bach sagt ihm,
wohin die Wanderung geht, nämlich zur Mühle, wo er Arbeit und
Lohn findet. Aber der Bach spricht auch von den Nixen, die „tief
unten ihren Reih’n“ singen. Beim Anblick der Mühle endet die
Wanderung mit einem abrupten „Halt“.
Nun entfaltet sich die Liebesgeschichte zwischen dem Müller und
der Müllerin, von anfänglicher Hoffnung und Euphorie bis hin zu
Depression und dem tragischen Ende des Müllers. Die Müllerin
entscheidet sich für den Jäger als die bessere Partie, und der
Müller entschließt sich, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er
ertrinkt im Bach. Der Bach als der Wandergeselle, der dem Müller
von Anfang an den Weg gewiesen hat, nimmt den Müller in seine
erlösenden Arme auf.
Vor dem Hintergrund der Entstehungszeit der Komposition, die
Schubert in existenzieller Not und schwerer Krankheit zubrachte,
fasziniert seine schier übermenschliche Fähigkeit zur
künstlerischen Sublimierung und Objektivierung; denn dieser
Stoff ging sicher auch ihm nahe.
Die Fassung für Bariton und Gitarre, folgt einer Tradition, in
der die Gitarre auch von Franz Schubert selbst, als Instrument
empfindsamer Begleitung in häuslichen Rahmen genutzt wurde. Um
den Substanzverlust der zeittypischen, romantischen Arrangements
auszugleichen, habe ich eine technisch wie musikalisch höchst
anspruchsvolle Transkription erstellt, die der Klangfarbe des
Wiener Hammerklaviers näher steht, als der moderne
Konzertflügel.